Blog

Lernen in der Gruppe braucht einen Rahmen – Erfahrungen eines Trainers

Pro Gruppenarbeit. wb-web hat zwei Praktiker um ihre Einschätzung zu Gruppenarbeit gebeten. Pro oder Contra? Lesen Sie auch Gruppenarbeit: Frust vorprogrammiert!

Für viele Menschen ist Gruppenarbeit in Seminaren eine unangenehme Erfahrung. Statt die unterschiedlichen Erfahrungen und Sichtweisen der Gruppe zu nutzen, verbringen einzelne Gruppenmitglieder die Zeit mit Statusspielchen und Ablenkungsmanövern. Solch ein Verhalten zeigt, dass der Rahmen nicht gut gesetzt war. Es ist die Aufgabe des Seminarleiters, einen guten Rahmen für die Gruppenarbeit zu definieren, zum Beispiel mit „Wahr-Falsch-Karten“.

Seitdem ich Trainer bin, schätze ich Gruppenarbeit. Solche Einheiten bieten mir eine Pause und die Gelegenheit meine Stimme zu schonen. Ich gehe von Gruppe zu Gruppe und höre zu, was diskutiert wird. So erkenne ich schnell, welche Begriffe sitzen und welche ich noch nicht gut erklärt habe. Ich lerne neue Sichtweisen, neue Probleme und Akzente kennen. Das selbständige Arbeiten hilft beim Verarbeiten neuer Begriffe.

Die Firmen, für die ich arbeite, sind überwiegend im geschäftlichen Kontext unterwegs. Lernen in der Gruppe ist hier wichtig, denn unsere Seminare haben Änderungen in den Arbeitsabläufen zum Ziel. Eine Firma, die ein Training zum Thema Projektmanagement oder zur Dokumentenablage beauftragt, wünscht sich, dass die Mitarbeiter danach Projekte besser planen oder Dokumente gemeinsam ablegen. Je mehr Mitarbeiter am gleichen Training teilnehmen und je intensiver sie das Neue verarbeiten, desto mehr lohnt sich die Investition in ein gemeinsames Training.

Die Arbeit in Paaren oder Gruppen braucht einen Rahmen: Was ist konkret zu tun? Wer hat in der Gruppe welche Aufgabe? Wie viel Zeit haben wir? Nicht zu vernachlässigen sind die psychologischen Faktoren im Trainingsraum: Kann ich mich bei dieser Übung blamieren? Wie stehe ich vor den anderen da? Habe ich alles richtig verstanden?

Typische Wahr-Falsch-Karten (Bild: Jan Fischbach)

Wir beginnen Trainings und Vorträge mit "Wahr-Falsch-Karten". Nachdem wir uns und das Thema des Trainings vorgestellt haben, verteilen wir an alle Gruppen (2-4 Personen) Karten mit wahren und falschen Aussagen über das Thema. Zusammen soll die Gruppe die Aussagen durchgehen und zwei Stapel bilden: Welche Aussagen sind wahr? Welche sind falsch? Die Wahrscheinlichkeit daneben zu liegen, beträgt 50 Prozent. Die Auflösung gibt es erst am Ende des Trainings. Jeder kann während des Trainings noch Karten verschieben.

Diese Gruppenübung funktioniert immer, weil es einfache, klare Anweisungen gibt. Die Gruppe ist zum einen fokussiert, weil sie das neue Thema interessiert. Viele bringen schon Vorwissen mit. Zum anderen gibt es eine klare zeitliche Beschränkung. Das bedeutet, dass die Gruppe nicht viel Zeit mit Nebensächlichkeiten verlieren darf, um rechtzeitig fertig zu werden.

Diese Gruppenübung hat einen positiven Nebeneffekt. Wenn jemand zu Beginn des Trainings anfängt zu reden, wird er sich auch in der übrigen Zeit trauen, etwas zu sagen. Das Diskutieren in der Gruppe ist wichtig, um ein gemeinsames Verständnis der wesentlichen Begriffe aufzubauen. Wenn die Gruppe die fundamentalen Konzepte verstanden hat, ist sie schnell in der Lage, die neuen Kompetenzen auf ihre konkrete Situation zu anzuwenden. Darum geht es ja bei Trainings im geschäftlichen Kontext.

Die Alternative wäre, dass sich nur eine Person mit der neuen Fachkompetenz auseinandersetzt und die Arbeit für die Gruppe später vorstrukturiert. Aber die Erfahrung hat gezeigt, dass dies nicht funktioniert. Ein gemeinsames Verständnis macht die Umsetzung viel einfacher. Deswegen ist es immer besser, bei wichtigen Themen ganze Teams zu trainieren.

Die Idee zu den "Wahr-Falsch-Karten" haben wir aus Sharon Bowmans „Training from the back of the room“ übernommen. Bowman, S. L. (2008): Training From the Back of the Room!: 65 Ways to Step Aside and Let Them Learn. New York: John Wiley & Sons.

Jan Fischbach

Jan Fischbach ist Organisationsberater bei der Common Sense Team GmbH und Trainer für Scrum Events (HLSC GmbH). Er schreibt regelmäßig auf teamworkblog.de.

CC BY SA 3.0 DE, by Jan Fischbach für wb-web (04.11.2015), letztmalig geprüft am 22.05.2023


Das könnte Sie auch noch interessieren

Gruppenarbeit: Frust vorprogrammiert!

- Blog

Gruppenarbeit: Frust vorprogrammiert!
Irgendwann heißt es in jedem Seminar und in jedem Training, dass der nächste Abschnitt in Gruppen bearbeitet werden solle. Kein Arbeitgeber schafft es, sich diesem Trend zu entziehen. Ich muss das Wort „Gruppenarbeit“ nur hören – und meine Nackenhaare sträuben sich. Es scheint gerade so, als würden sie alle lieben. Oder wieso kommt man nirgends mehr um die Arbeit in Gruppen herum? Mir geht sie jedenfalls gehörig auf den Wecker!

Mehr

Vomfragwürdigen Nutzen des Kooperierens

- Forschung quergelesen

Vomfragwürdigen Nutzen des Kooperierens
Moderne digitale Medien scheinen für Kooperationen jenseits von Zeitzonen und Kontinenten wie gemacht. Social Media Tools machen die Zusammenarbeit vieler möglich. Doch das als „Mitmachnetz“ propagierte Web 2.0 wird tatsächlich von weit mehr Personen passiv als aktiv genutzt. Beispielsweise ist von den Millionen Nutzern von Wikipedia nur ein geringer Anteil kooperativ an der Erstellung der Texte beteiligt. Vergleichbare Phänomene beobachten Wissenschaftler auch in computergestützten Lernumgebungen.

Mehr