Erfahrungsbericht
Lernen in Gruppen eröffnet Freiräume für Entwicklung
Sich selbst als starke Persönlichkeit zu erleben und sich als solche in eine Gruppe zu integrieren – das gelingt in Lernprozessen oftmals leichter als im Arbeitsleben. Gerade deshalb ist das Arbeiten und Lernen in Gruppen auch in der Weiterbildung – nicht nur mit Geringqualifizierten – wichtig. Denn mancher, der zurückhaltend erscheint, entwickelt Stärken, von denen die Anderen in der Gruppe lernen können.
Frank Rehbein, Weiterbildungsberater und Teamcoach, berichtet im Gespräch mit wb-web, dass Gruppenarbeit zu erlernen manchmal gar nicht so einfach ist.
wb-web: In welchem Kontext hast du Gruppenarbeit mit Geringqualifizierten eingesetzt? Welche Ziele verfolgst du damit?
Frank Rehbein: Gruppenarbeit setze ich in der abschlussorientierten modularen Nachqualifizierung ein, um die Teilnehmenden zu motivieren und ihnen ein Selbstwertgefühl zu geben. Sie ermöglicht es auch, die Schwächen und Stärken der Teilnehmer zu erkennen und meine Mutmaßungen hinsichtlich vorhandener Stärken zu überprüfen. Ich glaube, dass viele Lernende Qualitäten haben, die ihnen oftmals gar nicht so bewusst sind. Im Rahmen von Teamprozessen gilt es diese zu entdecken, indem den Einzelnen ermöglicht wird, selber eine bestimmte Rolle zu finden, oder indem ich die Gruppe den Einzelnen eine spezielle Rolle zuordnen lasse. Meine Aufgabe ist dann eher eine assistierende und ein wenig mitlenkende.
wb-web: Wie können die Lernenden für sich erkennen, welche Stärken sie haben? Oft ist das Selbstwertgefühl bei vielen Geringqualifizierten eher weniger ausgeprägt, so dass ihnen gar nicht so bewusst ist, was sie können.
Frank Rehbein: Eine bewährte Vorgehensweise ist die der „stellvertretenden Deutung“. Im ersten Schritt versuche ich mir ein Bild bezüglich der mutmaßlichen Stärken der Lernenden zu machen. Hierbei lasse ich mich durchaus von Eindrücken leiten, die eher etwas mit einem „Bauchgefühl“ zu tun haben. Im nächsten Schritt verteile ich relativ einfache Aufgaben, die den Lernenden das Gefühl geben können, dass es sich um so etwas wie eine „Sonderaufgabe“ handelt. Die Lernenden sollen sich an dieser Aufgabe messen, erfahren und profilieren. Wichtig ist, auch bei einfachen Aufgaben die Lernenden positiv zu bestärken, selbst wenn ihnen kleine Fehler unterlaufen sein sollten. Nach wie vor gilt der Spruch: „Aus Fehlern lernt man“.
Apropos Bauchgefühl: Ich finde, dass man sich als Coach durchaus auch hinterfragen muss, ob man selbst die richtige Lösung kennt. Ich kann mich an viele Situationen erinnern, in denen ich eine bestimmte Idee bezüglich der Stärken oder Schwächen eines Lernenden hatte, aber vollkommen auf dem „Holzweg“ war. Im Endeffekt stellte sich dann heraus, dass meine Vorstellung über die Potenziale der betreffenden Lernenden falsch war und sie eine andere wichtige Rolle eingenommen haben. Manchmal ist es der Zufall oder aber die unermüdliche Ausdauer, die die wahren Stärken an den Tag befördern.
wb-web: Das spricht für einen organisierten Rollenwechsel der Lernenden untereinander, um ein Bild von den unterschiedlichen Fähigkeiten der verschiedenen Gruppenmitglieder zu bekommen und sie später besser fördern zu können.
Frank Rehbein: Die Lernenden müssen sich auch auf den Rollenwechsel einlassen können. Das gelingt, wenn man diesen Prozess spielerisch angeht und sie Spaß daran haben, auch mal andere Rollen im Team durchzuspielen.
wb-web: Welche Widerstände gibt es, wenn die Lernenden merken, dass sie etwas leisten müssen, was sie gar nicht können und deshalb auch nichts leisten wollen? Wie äußert sich das?
Frank Rehbein: Die wichtigsten Widerstände, die ich in meiner Arbeit in dieser Hinsicht sehe, sind das mangelnde Selbstbewusstsein und die davon ausgehende Angst davor, aus neuen Herausforderungen etwas zu lernen. Diese Widerstände scheinen mir zu Anfang durchaus normal. Denn viele der geringqualifizierten Lernenden haben häufig die Erfahrung gemacht, dass andere ihre Leistungen negativ bewertet haben, obwohl sie selbst eigentlich stolz auf sich selbst waren. Wenn man immer wieder kritisiert wird, immer wieder darauf hingewiesen wird, dass man eigentlich noch besser sein könnte, dann führt das unter Umständen zu einem Abbau von Selbstbewusstsein und im Umkehrschluss zunehmender „Verschlossenheit“. In diesem Zustand fällt es ihnen dann sehr schwer, sich wieder zu öffnen und auch zuzulassen, dass ihre Leistung tatsächlich mal nicht gut ist. Durch Ausdauer und gelebtes Selbstverständnis müssen die Lernenden wieder an eine Einstellung herangeführt werden, die sich durch ein gesundes Selbstbewusstsein auszeichnet und Schwächen als Herausforderung betrachtet.
Umgekehrt aber kann es auch sein, dass die Lernenden ein ausgesprochenes Lob, beispielsweise die positive Rückmeldung, die die Stärken der Lernenden wiederspiegelt, zurückweisen. Natürlich muss die Rückmeldung ehrlich sein und sich im Rahmen eines mehr oder weniger objektivierbaren Vergleichssystems bewegen, etwa den Qualitätsvorgaben bei der Ausführung der Arbeit. Dazu ist ein Vergleich zwischen Selbsteinschätzung und Fremdeinschätzung wichtig. Nur so kann ich als Trainer die Selbstkritik der Lernenden, die sich in vielen Jahren aufgebaut hat, in Richtung Potenzialentwicklung auflösen.
Es ist zwar grundsätzlich richtig, Kritik positiv zu wenden und den Weg dahin zu beschreiben, wie Fehler ausgeräumt werden können. Allerdings sollte zumindest dann, wenn die Fehler sich negativ auf Dritte auswirken, das Fehlverhalten offen angesprochen und in seinen negativen Auswirkungen für die Gruppe oder den einzelnen zum Thema gemacht werden. Das gilt insbesondere bei Nichtbeachtung von Sicherheitsbestimmungen, Gruppenregeln oder Qualitätsvorgaben.
Teamarbeit bedeutet, dass jeder eine Rolle übernimmt und diese gut erfüllen will. Wenn sich später dann aber herausstellt, dass einer gepennt hat, dann würde ich schon sagen: „Schön dass du mitgespielt hast, aber dafür dass du gepennt hast müssen die anderen jetzt mehr arbeiten“. In einer solchen Situation ist offene Kritik nicht nur angemessen, sondern sogar unumgänglich. Sie sollte aber dennoch wertschätzend sein, indem die Gruppe z. B. einräumt, dass sie der Person eine weitere Chance gibt, es aber beim nächsten Mal nicht mehr tun wird.
wb-web: Wie entwickelt sich ein Gruppenprozess? Reicht es aus, eine Gruppenarbeit dadurch einzuleiten, Aufgabenstellung, Zeitplan usw. verständlich zu beschreiben? Oder ist es nicht ganz so einfach?
Frank Rehbein: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Gruppen sich untereinander vergleichen, wer die attraktivere Aufgabe hat. Deshalb ist es zunächst nötig, parallel arbeitenden Gruppen gleiche Aufgaben zu stellen, damit der Vergleich anhand des Gelingens des Gruppenprozesses möglich ist.
Wenn die Gruppen dann im weiteren Verlauf unterschiedliche Aufgaben bearbeiten, ist die freiwillige Zuordnung wichtig. Die Lernenden sollen sich aussuchen können, welche Aufgabe sie bearbeiten wollen. In jedem Fall müssen die Zusammenhänge zwischen den Aufgaben deutlich werden. In der Nachqualifizierung Logistik wird das anhand des Warenflusses deutlich. Die verschiedenen Arbeitsgruppen „Wareneingang“, „Kommissionieren“ oder „Warenausgang“ sind an verschiedenen Schnittstellen miteinander verbunden. Kein Arbeitsbereich existiert ohne den anderen. Kein Bereich ist wichtiger als der andere. Innerhalb der Gruppen wechseln die Funktionen, damit jedes Gruppenmitglied alle Arbeiten beherrscht. Genauso durchlaufen die Lerngruppen nach und nach alle Arbeitsbereiche.
wb-web: Betrachten wir noch einmal den Wechsel der Rollen in einer Gruppe. Dadurch soll die Festigung von Rollenbildern verhindert werden. Allerdings gibt es auch diejenigen, die erst einmal keine Rolle übernehmen wollen, weil sie sich das nicht zutrauen. Was lässt sich dagegen tun?
Frank Rehbein: Das geht natürlich nicht von jetzt auf gleich. Wenn jemand die Chefrolle bekommen soll, der führungsunerfahren ist und nie den Mund auf macht, dann hat nicht nur er das Problem, dass er sich diese Rolle nicht zutraut, sondern die anderen trauen es ihm wahrscheinlich auch nicht zu.
Die Aufgaben der Teamleitung lassen sich klar beschreiben, auch was man dazu wissen und können muss. Letztendlich handelt es sich um Handlungskompetenzen, die möglichst alle lernen sollten. Eine gewisse Unsicherheit und eine kritische Reflexion am Anfang ist ganz normal. Im Laufe der Zeit entsteht mehr und mehr Handlungssicherheit. Damit wächst auch das Selbstbewusstsein.
Ich glaube die Herausforderung besteht darin, den Rollenwechsel auf einer spielerischen Ebene zu ermöglichen. Es geht ja nicht darum, wirklich Chef zu werden, sondern sich diese Rolle und die damit verbundenen Aufgaben anzueignen. Dem bisherigen „Chef“ kann die Rolle zugewiesen werden, die neue Teamleitung zu coachen, so wie auch der Ausbilder die Lernenden coacht. Ähnliche Prozesse laufen auch im realen Arbeitsleben immer wieder ab. Es ist dann unwichtig, ob sich der ehemalige Chef für den Besseren hält. Vielmehr gilt es, die neue Herausforderung zu bestehen, eine gute Anleitung zu gewährleisten, letztendlich geht es darum, dass das Gruppenergebnis stimmen muss. Wenn Einzelne Schwächen zeigen, müssen sich die Einzelnen gegenseitig unterstützen und die Arbeit so aufteilen, dass jedes Gruppenmitglied sich mit seinen jeweiligen Stärken einbringen kann.
CC BY-SA 3.0 DE by Christoph Eckhardt für wb-web